Vom traditionellen Teamcoaching zum Systemic Team Coaching: Eine notwendige Entwicklung für heutige Führungskräfte
- Moritz Hohenthal
- 12. Sept.
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 22. Sept.
In einer Welt des raschen Wandels und zunehmender Komplexität verändert sich die Art und
Weise, wie wir Teams und Führungskräfte entwickeln, grundlegend. Viele Organisationen
haben sich lange auf traditionelles Teamcoaching verlassen – mit dem Fokus auf die
Verbesserung interner Dynamiken, Kommunikation und Leistung eines Teams. Das war
durchaus sinnvoll, doch angesichts globaler Herausforderungen wie Klimawandel,
geopolitischer Instabilität, systemischer Ungleichheit und disruptiven Technologien wie KI reicht
dieses nach innen gerichtete Modell nicht mehr aus. Diese Probleme sind komplex, miteinander
verflochten und verändern sich rasant – sie betreffen weit mehr als ein einzelnes Team oder
Unternehmen. Kein Wunder also, dass Vordenker wie Professor Peter Hawkins, Dr. Catherine
Carr, Eve Turner und Naysan Firoozmand ein umfassenderes Coaching-Modell fordern. Hier
setzt das Systemic Team Coaching® an – eine Methode, die sich grundlegend in
Philosophie, Reichweite und Zielsetzung unterscheidet und Teams hilft, in komplexen
Umfeldern zu gedeihen.
Traditionelles Teamcoaching: Der Blick nach innen
Beim traditionellen Teamcoaching steht das Team als in sich geschlossene Einheit im Zentrum.
Coaches arbeiten daran, wie Mitglieder zusammenarbeiten, kommunizieren und gemeinsame
Ziele erreichen. Im Vordergrund stehen dabei zwischenmenschliche Beziehungen,
Rollenklärung, Konfliktlösung und die Verbesserung interner Prozesse. Ziel ist ein
leistungsfähigeres Team – meist gemessen an internen Kennzahlen wie Verkaufszahlen,
Projekterfolg oder Mitarbeitendenzufriedenheit.
Dieses Modell hat durchaus seine Berechtigung. Es kann Klarheit und Synergie schaffen. Doch
es bleibt in der Regel auf das Team beschränkt. Es bezieht weder externe Anspruchsgruppen
noch den größeren organisationalen Zweck tiefgehend ein. Oft handelt es sich um kurzfristige
oder reaktive Interventionen, etwa Offsite-Retreats, wenn ein Problem auftaucht oder eine neue
Führungskraft antritt. Der Fokus liegt dabei auf dem Wie der Zusammenarbeit, nicht auf dem
Warum des Teams innerhalb eines größeren Systems.
In einer Welt, in der Teamgrenzen zunehmend durchlässig sind – durch Lieferketten, Remote-
Arbeit oder funktionsübergreifende Kooperation – wird dieser begrenzte Blick zum Nachteil.
Systemic Team Coaching®: Der Blick über die Teamgrenzen hinaus
Systemic Team Coaching®, wie es von Peter Hawkins seit über 40 Jahren entwickelt wird,
erweitert die Perspektive deutlich. Hawkins definiert es als:
„Ein Prozess, bei dem ein Teamcoach mit dem gesamten Team arbeitet – sowohl gemeinsam
als auch mit einzelnen Mitgliedern –, um die kollektive Leistung, die Zusammenarbeit und die
kollektive Führungsfähigkeit so zu entwickeln, dass das Team mit allen wichtigen Stakeholdern
gemeinsam die Organisation und ihr Umfeld transformieren kann.“
Das Team wird also als Teil eines größeren Systems gesehen – sei es das Unternehmen
selbst, Kund*innen, Partnernetzwerke oder die Gesellschaft insgesamt. Die Arbeit des Coaches
umfasst nicht nur die internen Dynamiken, sondern auch die externen Kräfte, die auf das Team
einwirken. Dabei geht es um Fragen wie:
„Wem dienen wir, und was brauchen diese Menschen oder Gruppen von uns?“
„Wie wirkt sich unsere Arbeit auf das größere System aus – im Guten wie im
Schlechten?“
Stakeholder werden aktiv in die Coachingprozesse eingebunden. Systemisches Coaching ist
keine kurzfristige Maßnahme, sondern eine langfristige, entwicklungsorientierte Reise – oft über
Monate oder Jahre hinweg. Teams lernen, sich als lernende, sich anpassende Einheiten zu
begreifen, die kontinuierlich mit ihrer Umwelt in Dialog treten. Das Modell umfasst Disziplinen
wie „Commissioning“ (Klärung des Auftrags in Abstimmung mit Stakeholdern), „Connecting“
(aktive Beziehungsarbeit mit der Umwelt) und „Core Learning“ (reflexives Lernen als
kontinuierliche Praxis).
Ein Beispiel: Anstatt sich nur auf interne Zusammenarbeit zu konzentrieren, wird ein
Führungsteam mit externen Stimmen – etwa Kundinnen oder Gemeinschaftsvertreterinnen –
ins Gespräch gebracht. Es lernt, seine Strategie und Wirkung aus Sicht der Stakeholder zu
betrachten und dementsprechend anzupassen.
Systemic Team Coaching stellt also folgende zentrale Frage in den Fokus:
„Wie kann unser Team mit Stakeholdern zusammenarbeiten, um im größeren System Wert und
Wirkung zu erzeugen?“
Vergleich – Traditionelles vs. Systemisches Coaching
Aspekt | Traditionelles Coaching | Systemic Team Coaching |
Reichweite | Innerhalb des Teams | Innerhalb des Systems (inkl. Stakeholder) |
Philosophie | Optimierung interner Prozesse | Gemeinsame Entwicklung mit dem System |
Zielsetzung | Leistung und Teamkohäsion | Sinnorientierte Wirkung und Anpassungsfähigkeit |
Dauer | Kurzfristige Interventionen | Langfristiger Entwicklungsprozess |
Führungsbildung | Fokus auf einzelne Führungspersonen | Kollektive Führung („heroische Teams“) |
Warum klassische Ansätze heute scheitern
Die Herausforderungen von heute – Klimawandel, soziale Ungleichheit, technologische
Disruption, geopolitische Risiken – sind komplex, vernetzt und unvorhersehbar. Sie
überschreiten Team- und Unternehmensgrenzen. Klassisches Coaching, das nur die
Performance einzelner Teams oder Führungskräfte optimiert, greift hier zu kurz. Führung
braucht heute systemisches Denken, ethische Reflexion und die Fähigkeit, mit Unsicherheit
produktiv umzugehen. Ein Team kann nicht nur für seine eigenen Kennzahlen arbeiten – es
muss Teil größerer, kooperativer Lösungen sein.
Was Systemic Team Coaching bewirkt
1. Stakeholder-Einbindung: Teams arbeiten nicht mehr im Tunnel, sondern im Dialog mit
relevanten Gruppen – intern wie extern.
2. Lernkultur: Teams reflektieren, lernen und passen sich kontinuierlich an, statt sich auf
veraltete Erfolgsrezepte zu verlassen.
3. Kollektive Führung: Verantwortung und Führung sind verteilt – das Team wird zur
strategischen Einheit, nicht nur zur Summe einzelner Expert*innen.
4. Sinn und Wirkung: Der Zweck des Teams wird bewusst gestaltet – nicht nur für
kurzfristige Ergebnisse, sondern für nachhaltige Wirkung.
5. Leistung als Ergebnis: Leistung wird nicht aufgegeben, sondern neu definiert – als
Kombination aus Effizienz, Verantwortung und Zukunftsfähigkeit.
Fazit: Eine notwendige Weiterentwicklung
Systemic Team Coaching® ist kein Trend, sondern eine notwendige Antwort auf die
Anforderungen unserer Zeit. Es bietet eine tiefere, wirkungsvollere Art, Teams zu entwickeln –
über bloße Effizienz hinaus hin zu Sinn, Verantwortung und Innovationsfähigkeit. Wie Naysan
Firoozmand es ausdrückt:
„Diese Arbeit ist nie abgeschlossen. Und genau deshalb ist sie es wert, getan zu werden.“
Teams, die sich systemisch entwickeln, sind resilient, lernbereit und in der Lage, echte Wirkung
zu entfalten – für ihr Unternehmen und die Welt, in der sie agieren.
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